Stationäres Konzept
Unser Heim sind Pflegefamilien: Wir verbinden die Vorteile und Stärken der Betreuung und Erziehung von Kindern in Familien mit einem heimähnlichen Betriebskonzept. Wir sind eine heimähnlich organisierte Institution mit zentraler Leitung und dezentraler Erziehung und Betreuung in den Pflegefamilien.
Ein wesentlicher Bestandteil unseres Konzepts ist das «kindorientierte Case Management». Diese Aufgabe wird von Fachpersonen mit Ausbildung im Sozialbereich übernommen, wir bezeichnen sie als Pädagogischen Leitungen. Jedes aufgenommene Kind hat eine zuständige Pädagogische Leitung.
Mit dem Begriff «kindorientiertes Case Management» meinen wir, dass die Pädagogische Leitung ihr Denken und Handeln auf die wichtigste Zielsetzung unserer Institution ausrichtet: das aufgenommene Kind ins Zentrum setzen.
Die Pädagogische Leitung hat den Auftrag, sich bei allen Einschätzungen, Überlegungen und Interventionen von der Frage leiten zu lassen: Was hilft dem aufgenommenen Kind? Was braucht dieses Kind? Was ist zum Wohle des Kindes?
In der praktischen Umsetzung pflegt die Pädagogische Leitung den direkten Kontakt mit dem Pflegekind und übernimmt die Praxisberatung der Pflegeeltern, die Zusammenarbeit mit den Eltern und weiteren Personen aus der Familie des Pflegekindes, der Berufsbeistandschaft, der Schule, den Therapeut:innen etc. Erzieherisch anspruchsvolle Kinder aus belasteten Familiensituationen benötigen professionell begleitete Pflegeeltern, damit ihr Aufwachsen bestmöglich gelingen kann.

Unser Modell des kindorientierten Case Managements ermöglicht den Pflegeeltern, sich ganz auf die Erziehung und den Aufbau der Beziehung zu den aufgenommenen Kindern konzentrieren zu können. Es ist eine wichtige Grundlage, um bestmögliche Rahmenbedingungen für die Erziehung und Betreuung von Pflegekindern zu gewährleisten. Unser Modell beinhaltet die sorgfältige Auswahl und Vorbereitung der zukünftigen Pflegeeltern, die stetige Begleitung der ganzen Pflegefamilie im Alltag, inklusive regelmässiger Fortbildungen, und eine gut vorbereitete Austrittsphase, inklusive Nachbetreuung von Pflegekindern und Pflegeeltern.
Die Pflegeeltern und die Pädagogische Leitung bilden ein Arbeitsteam, ähnlich wie es in einem Kinderheim bei der Zusammenarbeit zwischen der Erziehungsleitung und dem für die einzelne Kindergruppe zuständigen Team der Fall ist. Das kindorientierte Case Management erfolgt im Auftrag und in enger Absprache mit den Berufsbeistandschaften, Behörden oder anderen zuweisenden Stellen.
- Sozialpädagogische Betreuung und Alltagspädagogik durch angestellte Pflegeeltern.
- Zentrale fachliche und betriebliche Leitung der Pflegefamilien, interne Aufsicht der Pflegeeltern.
- Die Pädagogische Leitung ist zuständig für die Zusammenarbeit, regelmässige Zielvereinbarungen und Standortgespräche mit den Eltern der Pflegekinder, den Berufsbeistandschaften, den Behördenvertretungen und weiteren involvierten Stellen.
- Die Pädagogische Leitung ist zuständig für die Planung und Zusammenarbeit mit Schule, Therapie und weiteren Fachstellen wie z. B. Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst.
- Erziehungsplanung und Praxisberatung der Pflegeeltern.
- Obligatorische interne Aus- und Fortbildung der Pflegeeltern.
- Erfahrungsaustausch unter den Pflegeeltern.
- Anstellung der Pflegeeltern auf vertraglicher Basis.
Damit werden hohe gegenseitige Verbindlichkeiten und Verpflichtungen geschaffen. Unsere Institution als Ganzes fühlt sich für die Kinder verantwortlich. Die Verantwortung liegt nicht alleine bei den Pflegeeltern.
Für die betreuten Kinder ergibt sich im Vergleich zu vielen Heimsituationen eine stabile Beziehungsstruktur. Die Kinder können in unseren Pflegefamilien ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln, das emotionale Sicherheit und Geborgenheit vermittelt.
Voraussetzungen für eine gesunde soziale, emotionale und kognitive Entwicklung sind tragende Beziehungen. In einer Familie können verbindliche und konstante Beziehungen sowohl zu Erwachsenen wie zu Kindern aufgebaut und erprobt werden. Vertrauensvolle Verbindungen bedeuten eine wichtige Erfahrung für die gesunde Entwicklung von Kindern und sind Voraussetzung für ihre spätere Beziehungsfähigkeit im Erwachsenenalter.
In der Pflegefamilie können die Kinder eine zusätzliche Familienerfahrung aufbauen, die für sie eine wichtige Orientierungshilfe im weiteren Leben sein kann.
Wir legen grossen Wert auf eine gute Auftragsklärung mit den Eltern bei der Aufnahme des Kindes.
Wir berücksichtigen in unserem Handeln Loyalitäten und gegenseitige Verpflichtungen von Eltern und Kind und setzen alles daran, die Wechselwirkungen zwischen Herkunftsfamilie und uns für eine positive Entwicklung der Kinder nutzbar zu machen.
Wir helfen den Eltern der Pflegekinder, ihre soziale und pädagogische Kompetenz zu stärken, zu aktivieren und aufzubauen. Erste Priorität haben der Schutz und das Wohl der Kinder.
Wir haben Verständnis für die Situation der Eltern.
Wir akzeptieren, dass die Aufnahme ihres Kindes in eine Pflegefamilie oft für die Eltern schwer nachvollziehbar ist und unterschiedliche Gefühle auslöst (Wut, Trauer, Scham, Schuld, etc.)
Wir versuchen den Eltern zu zeigen, dass sie auch gute Eltern sein können in der Zeit, in der ihr Kind nicht bei ihnen lebt, z.B. in dem sie verlässlich regelmässig telefonieren, das Kind alle 14 Tage sehen, in schwierigen Situationen zu Gesprächen kommen, das Kind bestärken in seinen anstehenden Entwicklungsaufgaben, etc.
Wir motivieren die Eltern, ihr eigenes Hilfssystem zu pflegen oder auf- / abzubauen und achten darauf, dass wir darüber informiert werden, wer zum Hilfssystem der Eltern gehört. Wenn es sinnvoll ist, binden wir das Hilfssystem der Eltern in Absprache mit ihnen in die Zusammenarbeit ein.
Es ist uns wichtig, dass die Eltern im Verlaufe des Aufnahme- und Betreuungsprozesses eine minimale Zustimmung zum Aufenthalt des Pflegekindes in der Pflegefamilie geben können. Hauptsächliche Fragestellungen gegenüber den Eltern sind: Wie können Sie Ihrem Kind in dieser Situation helfen? Was können Sie tun, dass sich das Kind so gut als möglich wohlfühlt in der Pflegefamilie? Was können Sie übernehmen, was übernehmen wir?
Wir helfen mit, dass die Rollen und Aufgaben von Pflegeeltern und Eltern immer wieder besprochen werden.
Wir unterstützen einen offenen und transparenten Umgang zwischen Pflege- und Herkunftsfamilie.
Unsere fachliche Grundausrichtung ist die systemorientierte Sozialpädagogik:
Wir übernehmen in Absprache mit der Berufsbeistandschaft die Moderation der Zusammenarbeit unter den Beteiligten. Auch weitere kindzentrierte, fachliche Denk- und Handlungsweisen beziehen wir mit ein wie Verhaltens- und tiefenpsychologische Ansätze, Lösungsorientierung, Bindungstheorien, Biografiearbeit, Traumapädagogik.
Nach Bedarf und in Absprache mit den Berufsbeistandschaften ziehen wir therapeutische Fachleute und Fachinstitutionen bei wie Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst, Schulsozialarbeit, Schulpsychologischer Dienst oder Therapeut:innen und Ärzt:innen.
Wir legen grossen Wert auf eine gute Auftragsklärung bei der Aufnahme des Kindes und reflektieren diese regelmässig auch in der Zeit der Begleitung.
wir arbeiten miteinander zugunsten des Kindes
gilt für die Zusammenarbeit unter allen Beteiligten.
Die Biografiearbeit ist in unsere Arbeitsweise integriert. Sie ist eine Methode, den Kindern und Jugendlichen bei der Rekonstruktion ihrer Vergangenheit zu helfen, die persönliche Geschichte zu ordnen und damit die eigene Identität zu finden.
Wir helfen den Kindern mit der Methode, seelisch zu reifen und sich als ganzheitlicher Mensch zu fühlen. Dieser Prozess erfolgt im Alltag mit den Kindern in enger Zusammenarbeit zwischen Pädagogischer Leitung und Pflegeeltern. Die Eltern und Berufsbeistandschaften werden möglichst in die Biografiearbeit einbezogen. Unsere Pädagogischen Leitungen und die Pflegeeltern besuchen entsprechende Weiterbildungen zur Biografiearbeit.
Pflegekinder sind oft schon in ihren ersten Lebensjahren von Brüchen betroffen oder haben schwerwiegende physische oder psychische Verletzungen erlitten. Sie haben als Kind, als Jugendliche und als junge Erwachsene Erinnerungen an das, was nicht hätte passieren sollen, können diese Erinnerungen aber nicht oder nur teilweise formulieren oder in einen Zusammenhang bringen. Dadurch binden diese Erlebnisse und Erinnerungen Energie, die eigentlich für die kindliche Entwicklung und die Entwicklung einer positiven Lebensperspektive nötig wären.
Indem wir mit den Kindern biografisch arbeiten, unterstützen wir sie in ihrer Entwicklung. Die Kinder haben die Möglichkeit, mit einer ihnen bekannten Vertrauensperson über ihre Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle zu sprechen. Sie haben die Gelegenheit, Fragen zu ihrer Vergangenheit zu stellen. Sie erhalten auch auf schwierige Fragen Antworten und sie werden ermutigt, über sich selbst nachzudenken und die eigenen Gefühle und Wünsche zu formulieren.
Warum lebe ich nicht bei meinen Eltern wie andere Kinder? Warum wurde ich meinen Eltern weggenommen? Wer hat diese Wegnahme entschieden? Warum haben mich meine Eltern weggegeben? Wer ist mein Vater? Wer ist meine Mutter? Habe ich (Halb)Geschwister? Wo lebte ich als Kleinkind? Warum habe ich damals bei meiner Tante gelebt? Was bedeutet es, drogenabhängig zu sein? Warum ist meine Mutter im Spital? Warum kommen meine Eltern mich am Wochenende nicht abholen, obwohl sie es mir zugesagt haben? Warum habe ich Narben an meinen Händen? Warum schweigt meine Grossmutter, mein Grossvater, wenn ich frage, wo meine Schwester ist? Warum ist mein kleiner Bruder plötzlich gestorben?
Niemand hat mich lieb. Niemand will mich wirklich. Die eigenen Kinder der Pflegefamilie können alles besser als ich. Ich habe keinen Freund. Ich bin schuld, dass meine Eltern gestritten haben und jetzt geschieden sind. Wenn ich lieb gewesen wäre, würde ich nun nicht in der Pflegefamilie leben.
Biografiearbeit als Methode hilft dem Kind bei der Beantwortung der Grundfragen des Lebens: Woher komme ich, wer bin ich geworden, wie will ich werden?
Biografiearbeit soll den Kindern ermöglichen, ihr Leben als Kontinuum zu sehen, indem sie erfahren, wo sie geboren sind, mit wem sie zusammengelebt haben, welche Wechsel sie erlebt haben und warum diese stattgefunden haben. Biografiearbeit bringt also die oftmals verschiedenen Wechsel und Brüche in einen logischen und chronologischen Zusammenhang. Wir dokumentieren die Wechsel und Lebensstationen anschaulich mit einem Lebensstrahl, gemeinsam mit dem Kind, manchmal gemeinsam mit dem Kind und seinen Eltern. Das Wissen über die Vergangenheit des Kindes nehmen wir als Grundlage, um über die oftmals schwierigen vergangenen Erlebnisse mit dem Kind zu sprechen und die damit verbundenen Gefühle wahrzunehmen. So können wir mithelfen, den Verarbeitungsprozess beim Kind in Gang zu setzen oder zu stärken.
Wer bin ich? Was kann ich? Was mache ich gerne? Was liebe ich? Wovor fürchte ich mich? Was ist ein guter Tag, was ein schlechter? Wo brauche ich Unterstützung? Wie fühle ich mich heute? Was mache ich mit meinen schlechten Gefühlen? Bin ich okay, so wie ich bin?
Indem das Kind sich im Gespräch, über Erlebnisse und kreatives Gestalten mit sich selber befasst und sein Selbstbild mit Zeichnungen, mit Notizen, mit Erlebnissen, mit Briefen usw. dokumentiert, wird sein Selbstbewusstsein und sein Selbstvertrauen gestärkt. Das Kind erfährt sich als einmalige Persönlichkeit mit starken und schwachen Seiten. Die Last der Vergangenheit ist da, aber die Gegenwart ist lebenswert und hält Perspektiven offen. Identität entwickeln heisst zu wissen, woher ich komme, wer ich bin, warum ich so geworden bin, und darüber nachzudenken, wer ich werden will, welche Zukunftspläne ich habe, was mir wichtig ist und wie ich meine Ziele verwirklichen kann.
Jedes Pflegekind ist ein Kind mit einem ausgedehnten Beziehungs- und Betreuungsnetz:
Einerseits lebt das Pflegekind über kürzere oder längere Zeit bei den Pflegeeltern, die es betreuen und begleiten, ihm Zuwendung geben und es in seiner Entwicklung unterstützen und lernt dort auch verschiedenste Menschen kennen aus der Familie der Pflegeeltern, der Wohnumgebung, der Schule, etc.
Andererseits hat jedes Pflegekind ein Herkunftsfamiliensystem (Eltern, Geschwister, Grosseltern, Tanten/Onkel, Paten, usw.), dem es sich zugehörig fühlt und je nach Situation auch regelmässigen Kontakt zu den Menschen dieses Systems pflegt oder pflegen möchte.
Das Pflegekind hat auch eine behördliche Betreuungsperson, in der Regel eine Beistandsperson, die um sein Wohl besorgt ist und das Pflegekind begleitet. Oftmals erfährt das Pflegekind auch Unterstützung durch therapeutische Fachpersonen.
Biografiearbeit als Unterstützung der kindlichen Entwicklung verlangt nach guter Zusammenarbeit auf der Erwachsenenebene. Die Pädagogische Leitung leitet und koordiniert die Arbeit mit dem Pflegekind, sie ist in Kontakt mit dem Herkunftsfamiliensystem und der Beistandsperson des Kindes, holt dort Informationen ein und bezieht die Personen situationsgerecht in den Prozess mit ein.
So kann es für das Pflegekind sehr hilfreich sein, wenn ihm eine Bezugsperson aus dem Herkunftssystem oder die Beistandsperson erzählt, wie es zur Aufnahme in die Pflegefamilie kam, dass sie damals mit dem Entscheid einverstanden waren respektive ihn getroffen oder empfohlen haben. Dem Pflegekind hilft auch, wenn es von jemandem aus seinem Herkunftssystem erfährt, wie es als Kleinkind war, woran es Freude hatte, welche Spiele es gespielt hat, was sein besonderen Fähigkeiten waren und vieles mehr. Menschen aus dem Herkunftssystem können in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Leitung und den Pflegeeltern dem Pflegekind viel Klarheit bezüglich seiner Vergangenheit geben. Die Pflegeeltern sind verantwortlich, mit dem Pflegekind die Gegenwart, das heisst den Alltag, zu dokumentieren und zu ordnen. Gemeinsam mit der Pädagogischen Leitung und dem Pflegekind helfen die Pflegeeltern mit, die Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln.
Biografiearbeit als Methode, dem Pflegekind Sicherheit und Selbstvertrauen zu geben, hat in unseren zwei stationären Angeboten verschiedene Funktionen:
- Mittel- und langfristige Plätze: Für Pflegekinder, die über Jahre in einer Pflegefamilie leben oder dort einen grossen Teil ihrer Kindheit und Jugendzeit verbringen, ist die Biografiearbeit eine hilfreiche Methode der Auseinandersetzung mit sich selbst. Ziel ist, das Leben, die eigene Entwicklung, die verschiedenen Stationen im Leben und einiges mehr in einem «Lebensbuch» zu dokumentieren.
- Notaufnahmeplätze: Biografiearbeit während der Notaufnahmezeit dient in erster Linie der Dokumentation des Aufenthaltes und den damit verbundenen Erfahrungen und Erlebnissen. Wir dokumentieren für und mit dem Pflegekind die Aufenthaltsdauer, die Lebenssituation der Pflegefamilie, seine Beziehungen innerhalb der Pflegefamilie und im sozialen Umfeld. Wir sprechen mit dem Pflegekind darüber, warum es für eine bestimmte Zeitdauer in der Pflegefamilie lebt und wo es nachher leben wird. Die Notaufnahmezeit gibt zudem die Möglichkeit, das Pflegekind an der Planung der zukünftigen Lebensituation altersgerecht partizipieren zu lassen. Was sind seine Vorstellungen des zukünftigen Lebensortes? Was braucht es?
Unsere breite Palette an Angeboten ermöglicht es, Kinder und Eltern in schwierigen Situationen ihren familiären Ressourcen entsprechend zu begleiten.
In akuten Krisen stehen das Erziehungstraining auf Basis der Kompetenzorientierten Familienarbeit oder eine Notaufnahme, möglicherweise kombiniert mit ambulanter Familienarbeit (in diesem Fall lebt das Kind zeitweise bei den Eltern), zur Wahl.
Benötigen Kinder oder die ganze Familie längerfristige Unterstützung, kann die ambulante Familienunterstützung beziehungsweise die sozialpädagogische Familienbegleitung oder die Aufnahme der Kinder an einen langfristigen Platz erwogen werden.
Wichtige handlungsleitende Fragen sind:
- Was hilft dem Kind?
- Was braucht seine Familie?
- Welche Perspektive (Kind/Eltern) hat welchen Einfluss auf die Lösung?
Erfordert die Situation dringendes Handeln, um das Kind vor Vernachlässigung, physischer oder psychischer Gewalt zu schützen oder eine gute Betreuung zu gewährleisten? Besteht eine unsichere oder sichere Bindung beim Kind?
Sind die Eltern zuerzeit den Aufgaben gewachsen, die mit der Erziehung der Kinder im aktuellen Alter verbunden sind? Verfügen die Eltern über die notwendige Feinfühligkeit und Verlässlichkeit als Voraussetzung einer sicheren Bindung?
Bestehen bei den Eltern Voraussetzungen, welche ein Aufbau oder Wiederaufbau ihrer Kompetenzen und der emotionalen Zuwendung ermöglicht? Gibt es soziale Schutzfaktoren, welche ihnen dabei helfen und die aktiviert werden können? Können Belastungen und Risikofaktoren reduziert werden, damit die Elternschaft angemessen ausgeübt werden kann?
Haben die Eltern die Einsicht, dass sie zurzeit nicht über die nötigen Erziehungsvoraussetzungen verfügen?
Schätzen die Eltern die aktuelle Situation und ihre persönlichen Ressourcen realistisch ein?
Was sind die Ziele? Was ist der genaue Auftrag? Diese Fragen helfen klären, ob ein Angebot passend für die Familie und das Kind ist.
Eine «bedingte Zielkongruenz» zwischen Eltern, auftraggebender Stelle und uns sollte sich sowohl beim Erstgespräch für eine sozialpädagogische Familienbegleitung als auch während dem Aufnahmeprozess in eine Pflegefamilie ergeben. Damit ist eine minimale gemeinsame Zielsetzung gemeint, die möglicherweise nur in wenigen, aber relevanten Punkten übereinstimmt. Das heisst, während dem Kennenlern- und Aufnahmeprozess mit den Eltern bzw. einem Elternteil wird eine minimale Übereinstimmung bezüglich Zielsetzung angestrebt. Dadurch bildet sich neben dem formellen schriftlichen Auftrag in unserem Aufnahmevertrag ein «inneres Vertragsverhältnis». Auf diese Weise erhält das aufzunehmende Kind eine «(Teil-)Erlaubnis», sich bei den Pflegeeltern beziehungsmässig einzulassen. Bei Notaufnahmen ist die Zielkongruenz oft erst nach der Aufnahme möglich respektive thematisierbar.
Geben die Eltern ihre Zustimmung zu den vorgesehenen Massnahmen? Sind sie zur Zusammenarbeit bereit und motiviert, an Verbesserungen zu arbeiten? Ist es kindsgerecht das Kind als Motivationsfaktor zu benutzen?
Oft liegt ein Entscheid der Behörde vor. Dieser ist in gewissen Situationen Voraussetzung, damit eine Hilfeakzeptanz entstehen kann. In anderen Situationen besteht die Hilfeakzeptanz bereits bei der Anmeldung.
Was sind alternative Massnahme-Möglichkeiten? Gibt es alternative Massnahmen, die dem Kind besser gerecht werden?
Diese Fragen sind oft von grosser Bedeutung, da manchmal die Vorstellungen des Kindes, der Eltern oder der auftraggebenden Stelle bezüglich idealer Hilfsmassnahme aufgrund praktischer Vorgaben/Optionen nicht realisierbar sind (z.B. wenn es keine freien Plätze gibt, wenn eine Massnahme nicht finanzierbar ist, etc.)
Wie ist die Lebens- und Entwicklungsperspektive des Kindes in seiner Familie? Worauf deutet der bisherige Umgang mit dem Kind und die bisherige Lebensform der Eltern hin? Wie ist die Perspektive des Kindes aufgrund der aktuellen Krisensituation?
Für Massnahmen im Kinderschutz ist die Zukunftsperspektive des Kindes sehr relevant. Ein herausragender Faktor einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung für Kinder sind stabile und konstante Beziehungen. Deshalb muss die Situation und die Hilfemassnahme vertieft beurteilt werden, im Hinblick auf die langfristige Perspektive und nicht nur im Hinblick auf die kommenden paar Wochen.
Je nach Antwort auf diese Fragen zeigt sich, ob eines unserer Angebote oder eine andere Hilfestellung geeignet ist.
Die Erfahrungen mit unserem Erziehungstraining und der ambulanten Familienunterstützung (sozialpädagogische Familienbegleitung SPF) zeigen, dass in erstaunlich vielen, auch sehr kritischen Erziehungssituationen, Eltern lernen können, ihrer Aufgabe und ihrem Auftrag wieder gerecht zu werden.
Wenn dies nicht möglich ist, ist die notfallmässige, vorübergehende Aufnahme des Kindes in eine unserer Pflegefamilien oder gar eine langfristige Aufnahme eine wichtige Voraussetzung, um den Schutz des Kindes und längerfristige Entwicklungschancen zu gewährleisten.
Eine Aufnahme bei Pflegeeltern darf nicht zum Bruch mit den Eltern führen. Oftmals spüren die Kinder eine grosse Verbundenheit und Loyalität zu ihren Eltern, auch wenn sie bei Pflegeeltern leben. Ihre eigenen Eltern haben neben den Pflegeeltern einen Platz im Herzen der Pflegekinder. Dass sie diesen Platz behalten dürfen, zeigen wir den Pflegekindern indem wir den Kontakt zu den Eltern ermöglichen und grossen Wert auf einen respektvollen Umgang mit den Eltern legen. Die Eltern nehmen an regelmässigen Gesprächen zur Entwicklung ihres Kindes zusammen mit der Pädagogischen Leitung, der Berufsbeistandschaft teil und reden bei den Fragen zur Erziehung ihres Kindes mit. Ein guter Kontakt zu seinen Eltern, seiner Geschichte und seinen Wurzeln erleichtert es dem Pflegekind, sich in der Pflegefamilie zu integrieren.
Die meisten unserer Pflegekinder haben regelmässigen Kontakt zu den Eltern. Manchmal unterstüzen wir diesen Kontakt mit unserem wöchentlich statffindenden Eltern-Kind-Treff (ElKi) Angebot. Einzelne Pflegekinder haben keinen Kontakt zu einem oder beiden Elternteilen, weil die Eltern nicht erreichbar oder nicht in der Lage sind oder das Pflegekind retraumatisierende Reaktionen bei den Kontakten zeigt, die ein anderes Vorgehen nötig machen, um wieder in Kontakt mit den Eltern zu kommen.
Die Partizipation der (Pflege)kinder betrifft alle unsere Angebote, ambulante Hilfen zuhause, Begleitete Besuche und Plätze in Pflegefamilien. Die folgenden Gedanken beziehen sich beispielhaft auf die Partizipation der Pflegekinder.
In unserem Leitbild steht der Satz: «Wir stellen das Kind ins Zentrum unserer Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen.» Damit wir diesem Leitsatz nachleben können, ist es notwendig, die Perspektive des Kindes einzubeziehen. Seine Perspektive können wir besser erfassen, wenn wir die folgenden Aspekte berücksichtigen:
Hat das Pflegekind genügend und die richtigen Informationen, um seine Situation zu verstehen?
Hat das Pflegekind genügend Hilfestellungen und Anregungen, welche ihm zeigen, dass es sein Leben selbst (mit-)gestalten kann? Ermöglichen wir ihm Erfolgserlebnisse, welche es in der Selbstbewältigung bestätigen?
Verfügt das Pflegekind über eine eigene Begründung, eine persönliche Interpretation seiner jetzigen Lebenssituation in der Pflegefamilie? Wie können wir ihm bei der Sinnfindung und beim Akzeptieren seiner Lebenssituation helfen?
Um dies herauszufinden, brauchen wir eine persönliche Beziehung zu den Pflegekindern. Denn jedes Kind hat Anrecht auf Information, Mitwirkung und Selbstbestimmung, drei wichtige Formen der Partizipation:
- Information: In vielen Situationen, vor allem auch in Krisenphasen, in denen Erwachsene (Gerichte, Behörden, unsere Pädagogischen Leitungen, die Eltern oder die Pflegeeltern) wichtige Entscheide treffen, soll das Kind gehört und über die Hintergründe der Entscheidungen informiert werden. Die Entscheide der Erwachsenen müssen sich am Wohl des Kindes orientieren. Der Wille des Kindes muss den Erwachsenen bei Entscheiden bekannt sein, ist aber nicht gleichzustellen mit dem Wohl des Kindes. «Ein am Wohl des Kindes ausgerichtetes Handeln ist dasjenige Handeln, welches die – an den Grundbedürfnissen und Grundrechten von Kindern orientierte – für das Kind jeweils günstigste Handlungsalternative wählt.», Jörg Maywald, Sprecher der Nationalen Koalition für die Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland.
- Mitwirkung: Bei vielen Themen können Kinder aktiv mitreden, mitwirken und Einfluss nehmen, so zum Beispiel bei der Freizeitgestaltung der Pflegefamilie, beim Menüplan, bei Fragen rund um Besuche bei den eigenen Eltern, bei der Schulwahl etc.
- Selbstbestimmung: Es braucht einen Raum, in dem das Kind die Selbstbestimmung üben und erfahren kann, zum Beispiel bei der Verwendung des Taschengelds, in der Gestaltung des Zimmers, in der Kleiderwahl. Ob Information, Mitwirkung oder Selbstbestimmung angezeigt ist, ist abhängig vom Thema, der aktuellen Situation und dem Alter des Kindes. Je älter das Kind wird, um so grösser soll sein Selbstbestimmungsraum werden.
- Bei der Aufnahme: Ältere Kinder und Jugendliche erhalten zur Vorbereitung der Aufnahmegespräche Fragen u. a. zu ihren Wünschen und Erwartungen, die im Gespräch aufgenommen werden. Notaufnahme-Kinder, die oft kaum auf ihre Aufnahme vorbereitet werden können, erleben ein Gespräch an der Geschäftsstelle, in welchem sie nach ihren Anliegen befragt und über ihre Aufnahme informiert werden. Später, bei der Ankunft in der Notaufnahmefamilie, folgt ein Einführungsritual zum gegenseitigen Kennenlernen und für den Informationsaustausch.
- Nach der Aufnahme: Die Pädagogischen Leitungen schaffen regelmässigen persönlichen Kontakt zu den Pflegekindern, auch ohne Anwesenheit der Pflegeeltern, damit die Kinder die Möglichkeit haben, ihre Sicht einzubringen. Bei Bedarf organisieren die Pädagogischen Leitungen Gespräche mit dem Pflegekind und den Pflegeeltern evtl. zusammen mit den Pflegegeschwistern oder mit den eigenen Eltern. In den regelmässigen Standortgesprächen können vor allem die Kinder ihre Meinung einbringen oder einbringen lassen (oft durch die Pädagogische Leitung oder bei kleineren Kindern durch die Pflegeeltern).
- Schulung und Sensibilisierung der Mitarbeitenden: Die Mitarbeitenden haben den Auftrag, die Partizipation bei jedem Pflegekind regelmässig zu thematisieren und zu fördern. Die Umsetzung nehmen wir in den laufenden Fortbildungen und Situationsbesprechungen und Intervisionen sowie in der Praxisberatung der Pflegeeltern auf. Wir orientieren uns dabei an unserem Leitbild und dem europäischen Betreuungsstandard Quality4Children.
Die Resilienzforschung ist die Forschung über die erfolgreiche Bewältigung von Risikobedingungen.
Sie bestätigt, dass Partizipation, welche
- das Verstehen der Lebenssituation («aha, darum bin ich hier»),
- das Erfahren der Selbstwirksamkeit in seinem Leben («ich kann mein Leben aktiv mitgestalten»),
- die Sinnfindung in der eigenen Lebenssituation fördert (z. B. «ich wäre zwar lieber bei meinen Eltern, aber ich habe hier doch mehr Halt als zu Hause»),
äusserst relevante Voraussetzungen für eine gelingende Entwicklung darstellen.
Eine Unterstützung dabei ist die Biografiearbeit unter Einbezug der eigenen Eltern und Pflegeeltern. Sie ist Bestandteil unseres Konzepts und hilft den Kindern, den eigenen Lebensweg besser kennen zu lernen und damit die eigene Identität zu ergründen.
Die eigene Lebensgeschichte und die Eltern haben bei der Umsetzung der Partizipation von Pflegekindern eine spezielle Bedeutung:
Kinder und Pflegekinder im Besonderen fühlen sich gegenüber ihren eigenen Eltern und, vielfach in zweiter Linie, den Pflegeeltern verbunden und verpflichtet. Damit leben sie in zwei Welten und sind so oft mit ganz verschiedenen Erwartungen und Ansprüchen konfrontiert. Diese können ihnen den Zugang zu sich selbst und zur Erkenntnis einer Selbstwirksamkeit und einer eigenen Sinngebung erschweren.
Es stellt sich daher in der Begleitung der Pflegekinder die Frage, wie weit ihre aktuellen Haltungen, Meinungen und Wünsche eventuell Loyalitätsbezeugungen zu einer oder beider dieser Welten bedeuten und auf welche Weise wir ihnen helfen können, auf sich selbst zu hören. Viele Pflegekinder brauchen dazu die «Erlaubnis» der Eltern und der Pflegeeltern. Gespräche und Erkenntnisse zu dieser Thematik unter den beteiligten Erwachsenen können deshalb die Partizipation der Pflegekinder entscheidend fördern und damit deren Überzeugung, dass sie ihr Leben aktiv mitgestalten können.